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"Unter vier Augen" - Gert-Dieter Meier im Gespräch mit Martynas Sajus

Von wegen körperlos…

Big Man Martynas Sajus ruht in sich selbst – und plaudert im Interview mit Gert-Dieter Meier aus dem Nähkästchen

 

Die Frage, ob er gerne singe, verwirrt ihn sichtlich. Dabei kann man sich Martynas Sajus durchaus als Bass vorstellen, der auf jeder Opernbühne eine gute Figur machen würde. 2,08 Meter groß, 118 Kilogramm schwer, ausgestattet mit einer durchaus sonoren Stimme. Und wenn er sich anstrengen, sich richtig viel Mühe geben würde, dann könnte er sicherlich auch jenes grimmige Gesicht zeigen, das Bösewichte aus Richard Wagners Welt so notwendig brauchen wie die Bayreuther Bratwürste den Senf. Nach kurzer Bedenkzeit fragt er mich, warum ich ihn das frage. Und ich antworte ihm gerne: Weil er doch aus Litauen komme. Und der Gesang und Sängerfeste dort, wie auch in Lettland oder Estland, durchaus eine große Tradition haben. Und man den gemeinsamen Gesang durchaus schon als Ausdrucksmittel benutzt habe, um sich aus der politischen Umklammerung durch die Sowjetunion zu befreien und in Freiheit zu singen. Martynas schaut mich mit wachen Augen und ganz und gar nicht grimmig an – und lacht: „Litauen heute“, sagt er, „ist viel eher ein Basketballland als ein Land des Gesangs.“ Und auf Basketball versteht er sich viel besser als auf Gesang.*

Marty, wie der 25-Jährige von seinen Mitspielern genannt wird, ist auf einem Bauernhof in der Kleinstadt Kelme im Nordwesten Litauens aufgewachsen. Basketball-Vorlieben gab es in der Familie Sajus nicht. Zwar haben sich seine Eltern bei einem Basketball-Camp kennengelernt, aber niemand vor ihm hat diesen Sport professionell betrieben. Ob er denn nur aufgrund seiner Körpergröße zum Basketball gekommen sei? Nein, sagt er schmunzelnd. Während seiner Schulzeit sei er auch nicht viel größer als seine Mitschüler gewesen. Erst als die aufgehört haben zu wachsen, sei er größer und größer geworden. Und erst dann habe er sich dazu entschieden, auf Korbjagd zu gehen, nachdem er zuvor schon Fußball und Volleyball gespielt hatte.

Ob er seine Heimat vermisse? Na klar, sagt er; weil dort seine Eltern und seine jüngere Schwester und viele Freunde leben. Andererseits sei es durchaus reizvoll, andere Länder kennenzulernen, neue Erfahrungen zu machen und neue Freundschaften zu schließen. Bayreuth sei, soweit er das nach ein paar Wochen sagen könne, eine schöne Stadt. Und weil er Parks und Wasserflächen besonders liebt, habe er durchaus schon viel gesehen. 

Der Platz freilich, den er mit Abstand am besten kennt, ist die Oberfrankenhalle. Zwei Mal täglich trainiert er dort, um sich mit dem Team auf die neue Saison vorzubereiten. Und er lässt auch keinen Zweifel daran, was er mit dem Bayreuther Team erreichen will: Die Playoffs! Und auch auf europäischer Ebene will er weit kommen. Dass das harte Arbeit, blindes Verständnis und jede Menge Einsatz erfordert, das braucht er nicht extra zu sagen. Das strahlt er aus. Was an dieser Mannschaft besonders hervorzuheben sei? Er denkt kurz nach, dann sagt er: „Wir haben einige sehr gute Schützen. Alle arbeiten hart, auch für die anderen. Wir haben keinen Stinkstiefel im Team, der immer nur meckert. Und wir haben alle eine gute Mentalität. Das könnte uns weit bringen.“

Die Mentalität passt also – und wie steht es um das Teambuildung? Das Trainingslager in St. Pölten sei da sehr hilfreich gewesen: „Jeder hilft jedem, in diesem Team fühlt sich jeder aufgehoben. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr professionell – aber auch freundschaftlich. Ich jedenfalls fühle mich da sehr wohl. Niemand muss da fremdeln. Und ich hoffe natürlich, dass das bis zum Saisonende so bleibt.“ Sagt er und lacht.

In einem Orchester hängen häufig die Geiger mit den Geigern ab und die Holzbläser mit den Holzbläsern. Wenn diese Form der Grüppchenbildung übertragbar wäre auf den Sport, dann sollte er besonders dicke sein mit Andi Seiferth, dem anderen Big Man des medi-Teams… „Na klar“, sagt er, „haben Andi und ich mehr gemeinsame Themen, wenn es ums Spiel geht und wie wir das Spiel sehen. Wir sprechen tatsächlich viel miteinander.“ Was auch den Head Coach Raoul Korner freuen dürfte, denn das gute Verständnis seiner Center ist Teil seines Konzepts: „An der Seite von Andi Seiferth passt das perfekt, denn auch wenn die beiden von der Art her durchaus Ähnlichkeiten haben, bringt uns Martynas noch einmal eine weitere Dimension in Sachen Athletik und Physis. Er wird mit Andi ein hervorragendes Center-Duo bilden”, formulierte Korner schon vor Wochen.

Sajus‘ Basketballkarriere begann im Alter von 16 Jahren. Damals hatte man ihm das Angebot unterbreitet, an der renommierten Kaunas Zalgiris Basketball Academy seinen Schulabschluss zu machen und seine Basketballqualitäten zu verbessern. Seine Eltern waren zwar nicht begeistert darüber, dass ihr jugendlicher Sohn eine Stunde von den Eltern entfernt nach Kaunas ins Internat geht, aber sie wollten ihm auch keine Steine in den Weg legen. Am 9. Juli 2014 dann unterschrieb Sajus einen 3+2-Vertrag mit Žalgiris Kaunas und begann für das Žalgiris -Entwicklungsteam in der Liga NKL zu spielen. In der Saison 2016/17 wurde er zunächst an Polpharma Starogard Gdański in Polen ausgeliehen, dann zurückgeholt, bevor er im Jahr 2018 bei Wilki Morskie Szczecin anheuerte und damit abermals in Polen spielte. Sajus gewann mit dem litauischen Team während der Sommeruniversiade 2017 die Goldmedaille, nachdem er das US-Team 85:74 im Finale besiegt hatte. Nach einer Saison bei Baxi Manresa in der spanischen Liga ACB gibt er nun sein Debüt bei medi bayreuth in der easyCredit Basketball Bundesliga. 

2,08 Meter ist eine gute Größe für den Sport, aber wie hinderlich ist ein solches Gardemaß im richtigen Leben? „Geht so“, sagt er vergleichsweise entspannt, „weder richtig gut noch richtig schlecht“. Er findet genügend große Hemden oder Hosen und Schuhe in der Größe 49,5, er passt in Autos und Betten – irgendwie –, er kommt durch. Leid tun ihm da viel eher die Jungs, die 2,20 Meter groß sind oder darüber: „Die haben es richtig schwer“, sagt er.

Hand aufs Herz: Wie ist das für ihn, wenn er gegen wirkliche Hünen spielt? „Größe allein macht nicht den Unterschied“, sagt er entspannt. Es komme auch auf die Technik, die Geschwindigkeit und die Position an „und darauf, was du selbst zulässt. Eines hat Marty („meine 100-Meter-Zeit kenne ich nicht“) vielen Big Man voraus: er ist für seine Größe erstaunlich schnell, das hat er schon bei seinen ersten Einsätzen gezeigt. Und robust.

Wer bei Google den Begriff „körperloser Sport“ eingibt, dem spendet die Suchmaschine viele Antworten mit Basketball. Aber wer jemals zwei Center im Infight auf dem Parkett erlebt hat, der wird nie wieder vom körperlosen Sport Basketball sprechen. Martynas sagt es diplomatischer: „Als Center bekommt man viel Kontakt untereinander. Wenn es um Positionen geht oder um den Rebound. Da geht es mitunter schon hart zur Sache.“ Ob er sein Gegenüber auch schon mal mit Trashtalk zu verwirren suche? „Nein“, sagt er, „so bin ich nicht gestrickt. Ich rede nicht auf dem Spielfeld, gebrauche auch keine Schimpfwörter. Ich arbeite.“ Aber er sagt auch das: „Als Weichei hast du als Verteidiger keine Chance in der Liga.“ Und wie ist es mit seinem Wurf? „Ich werfe üblicherweise aus der Halbdistanz. Dreierwürfe habe ich erst ganz wenige versucht in meiner Karriere. Und das ist auch nicht mein Job. Das können andere besser.“ 

Zu den großen Vorzügen des Basketballs gegenüber vielen anderen Sportarten gehört es, dass die Spieler nur selten lautstark oder im Rudel Schiedsrichterentscheidungen kritisieren. Warum das so ist? Na klar, weil es dafür im Basketball technische Fouls gibt. Eines räumt Marty Sajus in diesem Zusammenhang ein: „Ich habe es noch nie erreicht, dass eine Entscheidung durch den Schiedsrichter revidiert wurde, nachdem ich mit ihm darüber gesprochen habe. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht vielmehr darum, dass man beim nächsten Mal besser auf seinen Gegenspieler achtet. Oder du vielleicht etwas gut hast bei ihm. Oder dass du dir seine Sicht der Dinge anhörst, um selber besser zu werden und beim nächsten Mal ein Foul zu vermeiden. Man kann nicht oft genug mit den Schiris reden“, findet er. Er selbst bekomme übrigens so gut wie nie ein Technisches Foul. Was sicherlich auch daran liegt, dass der Litauer ein sehr ruhiger, ausgeglichener Typ ist. Dass er mit fünf persönlichen Fouls vom Parkett muss, das komme hingegen schon vor: „Das liegt daran, dass die Center häufig in Positionskämpfe verwickelt sind – vor allem dann, wenn du aggressiv gegen deinen Mitspieler verteidigen musst. Und das pfeifen die Schiris eben.“

Die größte Stärke von Martynas, auf die er sich gut verlassen kann: Er ruht in sich selbst. Er regt sich nicht über Dinge auf, die passiert sind oder die er nicht ändern kann, sondern hakt sie ab und schaut nach vorne. Selbstkontrolle statt überbordender Emotionalität zeichnen den Litauer aus. Und so beantwortet er auch die Frage nach seinen Karrierezielen mit stoischer Ruhe: „Ich will auf alle Fälle in der EuroLeague spielen.“ Und wenn es dann mal zu Ende ist mit der Karriere? „Vielleicht mache ich dann Landwirtschaft! Mein Vater ist Bauer.“ Oder er geht, Plan B, in die Wirtschaft. Zumindest sorgt er schon jetzt dafür, diesen Schritt gehen zu können, weil Marty im Fernstudium Betriebswirtschaft studiert.  

Wie die meisten seiner Mitspieler liebt er Musik: „Ich höre fast alles! Ältere Sachen ebenso wie Hip-Hop oder Techno oder Metall – das hängt ganz von meiner Stimmung ab.“ Eher unüblich für einen Basketballspieler dagegen ist diese Leidenschaft: Der Litauer, der noch gar kein Deutsch spricht, liebt es, in seiner Freizeit zu kochen. Nudeln, Hühnchen, alles nur kein Schnickschnack. Denn auch hier ist er Realist: „Ich beherrsche vor allem die einfachen Gerichte und habe keine Chefkochallüren“, sagt er lächelnd. Immerhin: Der Mann, der die Atmosphäre der Oberfrankenhalle bislang nur vom Hörensagen kennt, achtet auf die Qualität der Lebensmittel. Weil das gut ist für das wichtigste Gut eines jeden Spitzensportlers – den Körper. Und den bringt er, wenn er nicht gerade trainiert, gerne im Fitnessraum in Form. Nicht unbedingt, weil er sich so gerne plagt, sondern weil es notwendig ist, um seine Ziele zu erreichen. Und um standfest zu bleiben, wenn ein anderer Big Man ihn unter Einsatz seines Körpers herausfordert.  

*P.S. Natürlich singt Martynas Sajus gerne. Am liebsten unter der Dusche. Oder hinterm Lenkrad. Und wenn er guter Laune ist. Aber was er da singt und vor allem: wie er singt, das bleibt sein Geheimnis. Vorläufig…