Scharfschütze, Rebounder und „harter Hund“: Janari Jõesaar (28) brennt nach einer Corona-Erkrankung und einer Sprunggelenkverletzung darauf, endlich wieder spielen zu können.
Na klar, er hatte sich informiert. Hatte mit Freunden, anderen Spielern gesprochen. Und viel gelesen. Aber so richtig klar war Janari Jõesaar nicht, was ihn in der deutschen Basketball Bundesliga erwarten würde, als er im August nach Bayreuth kam. Zwar hatte er zuvor schon jede Menge Erfahrung gesammelt – High School und College in den USA, verschiedene Vereine in Estland, dann in Spanien – aber jede Liga hat ihre Besonderheiten und jedes Team eigene Herausforderungen. Die BBL, sagt er, sei ziemlich herausfordernd. Viele Spiele, gutes Niveau. Und die Aufnahme hier in Bayreuth, immerhin ein für ihn bislang unbekanntes Terrain? „Ich wurde hervorragend aufgenommen und habe mich gleich wohlgefühlt. Die ersten Spiele, die ersten Erfolge – ja, das war ein gutes Gefühl.“
Aber warum Bayreuth, warum Deutschland? Er habe eine ziemlich erfolgreiche Saison bei BC Kalev/Cramo hinter sich und präsentierte sein Können nicht nur in der estnischen ersten Liga, sondern auch in der länderübergreifenden VTB League. Der Nationalspieler Estlands kam dort auf durchschnittlich 12,8 Punkte, 6,9 Rebounds und 1,6 Assists und 1,5 Steals. Und verwandelte 44,7 Prozent seiner Dreier-Würfe. Für ihn war das genau der richtige Zeitpunkt, um den nächsten Schritt in seiner Karriere zu tun. Und Bayreuth war früh dran, bot ihm als erstes Team einen Vertrag, was sich später als Glücksfall erweisen sollte, schließlich hatte der 27-Jährige in der Folge noch mehrere Angebote bekommen. Am Ende, sagt Janari, war es eine recht einfache Entscheidung: „Ich habe mich mit Raoul Korner über seine Erwartungen und meine Rolle bei medi unterhalten. Mein Agent hat mir zugeraten. Und ich wollte mich in dieser Liga und bei diesem Team beweisen. Also habe ich unterschrieben.“
Was Korner in ihm sieht, hat der Verein schon früh veröffentlicht: „Janari ist ein ausgezeichneter Dreierschütze; er hat sich schon in der starken VTB-Liga von seiner besten Seite gezeigt und beispielsweise gegen CSKA Moskau 21 Punkte erzielt oder unglaubliche 18 Rebounds gegen Astana geholt.“ Und was sieht der 1,98 Meter große Este als seine Stärke an? „Ich denke nicht, dass ich in einem einzelnen Bereich herausragend gut bin. Es ist vielmehr das Gesamtpaket. Und ich habe den Willen, jedes Spiel zu gewinnen. Und ich tue alles dafür, dass es dazu kommt.“ Janari sagt das in aller Ruhe, aber mit Kraft in der Stimme. Er ist kein Lautsprecher, sondern eher ein stiller Typ. Der sich nicht in die Öffentlichkeit drängt, um im Rampenlicht zu stehen, sondern den man eher dorthin schieben muss. Aber auf dem Parkett ist von Zurückhaltung keine Spur mehr. Da packt er dann den Tiger aus und räumt auch ein: „Auf dem Parkett kann ich durchaus ein harter Hund sein“, also das, was man gemeinhin einen „unbequemen Gegenspieler“ nennt. Einen, der dran bleibt, der körperbetont spielt, austeilen und einstecken kann. „Auf dem Parkett weine ich nicht“, sagt der Este, der sein späteres Leben wieder in seinem Heimatland Estland leben will.
Janari hatte alles andere als einen Traumstart in Bayreuth. Und gerade, als er dabei war, sich frei zu spielen, infizierte er sich mit dem Covid-19-Virus: „Corona und die folgende Zwangspause hat mich aus dem Rhythmus gebracht. Ich fühlte mich einfach nicht gut. Und brauchte meine Zeit, um wieder zu meinen Stärken zurückzufinden.“ Janari schonte sich nicht, kämpfte und wurde stärker und stärker – eben zu der erhofften Stütze für das Team. Doch dann der zweite Rückschlag innerhalb kürzester Zeit: Bei der FIBA Europe Cup-Partie am 27. Oktober in London verletzte sich Janari Jõesaar schwer bei dem Versuch, seinen Gegenspieler Dirk Williams Jr. vom Wurf abzuhalten. Bei der Landung knickte er so unglücklich um, dass er sich eine schwere Sprunggelenksverletzung zuzog, wie Mannschaftsarzt Dr. Holger Eggers später diagnostizierte.
Die traurige Prognose: Mehrere Wochen Zwangspause. Janari selbst analysiert die Lage knochentrocken: „Ich hatte früher schon mehrere kleinere Brüche am Fuß. Und jetzt das. Aber auch das geht vorüber und ich werde wieder der Alte sein.“ Hand aufs Herz: Macht man sich als Profisportler in einer solche Situation nicht auch seine Gedanken, ob sich solche Verletzungen wiederholen könnten, am Ende womöglich sogar ein Karriereaus droht? Der 28-Jährige bleibt cool: „Daran darfst du nicht denken. Ich bin in guter ärztlicher Behandlung. Ich kenne meinen Körper und weiß ganz genau, was ich ihm zumuten kann und wann ich wieder 100prozentig bereit bin. Alles andere kann ich nicht beeinflussen und macht mir deshalb auch keine Angst.“
Wir treffen uns das erste Mal im Presseraum der Oberfrankenhalle. Und unterhalten uns oben, während sich unten seine Mannschaftskollegen warm machen für ein besonderes Spiel. Im Pokal geht es gegen ALBA BERLIN. Wie schwer ist das für ihn, einfach zusehen zu müssen? „Na klar, das ist brutal schwer und nervt ohne Ende“, räumt er ein. Aber, hey! Das ist eben sein Schicksal. Und das nimmt er an: „Ich versuche immer nah dran zu sei bei den Jungs. Und wenn ich ihnen jetzt nicht auf dem Feld helfen kann, unterstütze ich sie eben von der Bank aus.“ Er hilft ihnen, sie helfen ihm: „Wir sind ein verschworener Haufen, die Chemie im Team stimmt“, sagt Janari – auch nach krachenden Niederlagen wie der im Pokal-Viertelfinale gegen ALBA.
Damals, im November, ist Janari zuversichtlich, dass er noch im Dezember wieder zum Team stoßen und endlich wieder spielen kann. Ganz erfüllt sich seine Hoffnung jedoch nicht. Immerhin ist er schon wieder im Mannschaftstraining. Und immerhin steht einer baldigen Rückkehr in den reichlich ausgedünnten Kader wohl nicht mehr viel im Wege. Überstürzen will in dieser Situation niemand etwas und so wird es doch noch einige Tage dauern, bis JJ wieder im medi-Trikot mit der Nummer 21 auflaufen wird.
Dass Janari Jõesaar sich für den Basketballsport entschieden hat, ist eher dem Zufall geschuldet: „Mein Vater hat Volleyball gespielt und mich oft mitgenommen. Ich hatte also schon früh einen Ball in den Händen. Ich habe Volleyball gespielt, später auch Fußball. Aber erst beim Basketball bin ich dann hängen geblieben. Wohl in erster Linie, weil ich Teamplayer bin. Aber auch, weil ich über Kobe Bryant in der Zeitung gelesen und ihn in Videos gesehen habe. Da war ich hin und weg.“
Inzwischen schauen andere auf ihn. „Mein kleiner Bruder eifert mir nach und will auch Basketballspieler werden“, lächelt der Familienmensch Jõesaar: „Na klar ist mir Familie wichtig. Ich freue mich auch darauf, dass mich meine Eltern und meine beiden Geschwister hier besuchen. Aber erst, wenn ich wieder spiele“, fügt er hinzu. Allein ist Jõesaar in Bayreuth gleichwohl nicht: „Ich bin hier mit meiner Lebensgefährtin. Auch ihr gefällt es hier gut“, auch wenn es für sie schwieriger ist, hier gleich neue Freunde zu finden. Beide lieben übrigens Restaurantbesuche und haben schon einige Entdeckungen in Bayreuth gemacht. Ob er, wie einige seiner Teamkollegen, auch Vegetarier oder Veganer ist? „Nein“, sagt er und grinst: „Fleischesser!“ Gerne auch große Portionen, wenn es etwa Schnitzel gibt: „Schnitzel könnte ich jeden Tag verputzen“, sagt der 94-Kilo-Mann mit leuchtenden Augen.
Ob er ein harter Arbeiter ist, einer, der viel trainiert? Eigentlich müssten andere das beurteilen, sagt er bescheiden, dann aber legt er nach: „Ich denke schon. Ich mag die Vorstellung, alles getan zu haben, was ich tun konnte, um Erfolg zu haben.“ Und was sind seine Saisonziele – die persönlichen und die des Teams? „Ich will zu der Stütze für die Mannschaft werden, die ich sein kann. Und gemeinsam wollen wir natürlich möglichst viel erreichen.“ Das Wort Playoffs nimmt der Scharfschütze, dessen Karrierehoch bei 29 Punkten in einem Spiel liegt, zwar nicht in den Mund, aber man ahnt es: Das ist sein Ziel. Und Ziel des Teams. Auch wenn die vielen Verletzungen und Ausfälle die Mannschaft doch arg gebeutelt haben.
Auf eines freut sich der Small Forward, der sich durchaus vorstellen kann, bis zu einem Alter von 38 Jahren auf dem Parkett zu zaubern, besonders: Endlich mal vor einer vollen Oberfrankenhalle zu spielen. Und sich von den Fans zum Sieg treiben zu lassen. „Ich habe einmal vor rund 2.700 Menschen gespielt. Das war schon fantastisch. Aber wie muss sich das wohl anfühlen, wenn du vor vollem Haus gewinnst! Das gibt es in Estland so nicht. Auch meine Freundin war echt begeistert.“